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Moderation als Haltung

Ein zentraler Aspekt für das Gelingen von Beteiligungsprozessen ist die professionelle Prozessbegleitung und Moderation. Deshalb arbeitet LOSLAND mit vier regionalen Moderationsteams zusammen. Sobald eine LOSLAND-Kommune ausgewählt ist, kommen die Moderationsteams ins Spiel und begleiten die weiteren Schritte. In diesem Blogbeitrag berichtet Kristina Henry vom Moderationsteam Süd von einer besonderen Moderationsmethode: Dynamic Facilitation.

Die Moderierenden der LOSLAND Beteiligungsprozesse sorgen dafür, dass sich alle – auch die Leisen, Zurückhaltenden oder nicht so Sprachgewandten – einbringen können und der Gesprächsverlauf fair ist. Dabei ist es eine wichtige Grundhaltung, inhaltlich nicht einzugreifen, sondern es der Gruppe zu ermöglichen, selbst zu gemeinsamen Aussagen zu gelangen. Ziel ist es, das „Wissen der Vielen“ zum Tragen kommen zu lassen. Die LOSLAND Moderationsteams teilen diese Haltung und bringen sie mit unterschiedlichen Methoden in den Zukunftsräten zur Anwendung.

Es geht in den moderierten Gesprächen weniger darum, dass Themen abgehandelt werden, sondern zu erkunden, was den Einzelnen bewegt, einander gut zuzuhören und so den Geist frei zu machen für gemeinschaftliche Bedürfnisse der Gruppe. Dieses Vorgehen ermöglicht, dass die Zukunftsräte gemeinwohlorientierte Perspektiven einnehmen und für die ganze Gemeinde mitdenken können, eben weil sie Teil dieses Systems sind. Zugrunde liegt die Erkenntnis, dass die Lösung von Problemen in jedem und jeder Einzelnen steckt. Die Kombination der persönlichen Werte der Beteiligten, ihrer individuellen Erfahrungen und Kreativität führen zum Ergebnis.

Moderationsmethode Dynamic Facilitation

Eine wichtige Inspiration der LOSLAND Prozesse sind Bürgerräte nach dem Vorarlberger Modell. Diese zeichnen sich unter anderem durch den Einsatz der Moderationsmethode „Dynamic Facilitation“ aus: Sie wurde von dem US-amerikanischen Personalentwickler Jim Rough entwickelt. Als Berater sollte er in den 1980er Jahren ein großes Sägewerk an der amerikanischen Westküste wieder in die schwarzen Zahlen bringen und Konflikte in der Mitarbeiterschaft bereinigen. Da er mit gängigen Ansätzen der Problemlösung nicht weiterkam, versuchte er, die Mitarbeitenden darin anzuleiten, selbst nach Lösungen für die Probleme zu suchen und diese gemeinsam zu erarbeiten. Nach der erfolgreichen Anwendung im Sägewerk entwickelte er die neue Moderationsmethode weiter.

Besonders an einem Gruppengespräch im Modus der Dynamic Facilitation ist, dass immer nur eine Person spricht und nicht unterbrochen wird. Die Moderatorin hält das Gesagte schriftlich fest. Erst wenn alles gesagt ist, kommt die nächste Person im gleichen Modus dran. Dieses Vorgehen führt dazu, dass sich das Gespräch verlangsamt und zugleich Tiefgang bekommt, da die jeweils nicht Sprechenden aufmerksam zuhören (müssen) und ihre eigenen Beiträge gut durchdenken. Die Sprechenden müssen außerdem nicht direkt aufeinander Bezug nehmen. Statt Diskussionen, Schlagabtausch oder Argumentation ermöglicht es dieser Gesprächsmodus, tieferliegende Fragen freizulegen. Durch gutes Zuhören können Missverständnisse vermieden und Lösungen gefunden werden, die oft unerwartet, erstaunlich kreativ oder besonders nachhaltig und von transformativer Kraft für alle Beteiligten sind.

Ein Wir-Gefühl entsteht

Üblicherweise wird die Lösung von Problemen in gemeinschaftlichen Kontexten linear angegangen: Im ersten Schritt wird das Problem beschrieben, als nächstes werden Ursachen untersucht und zuletzt Lösungen erarbeitet. Unsere Gedanken kommen jedoch meist nicht linear, sondern ungeordnet und spontan. Dynamic Facilitation ermöglicht es den Teilnehmenden ihren Impulsen zu folgen und auch spontane Eingebungen ungefiltert zu äußern. Die Live-Dokumentation auf vier Flipcharts ermöglicht es, dass alle Bedenken, Sichtweisen, Lösungsideen und entstandenen Fragen nebeneinanderstehen und als Bezugspunkte im weiteren Verlauf nachwirken können.

Dynamic Facilitation hat sich bereits vielfach in Gruppen bewährt, in denen Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungshorizonten zu einer gemeinsamen Herausforderung zusammenkommen – wie zum Beispiel in Bürgerräten. Trotz unterschiedlicher Ausgangslagen entwickeln die Beteiligten eines solchen moderierten Prozesses im Gesprächsverlauf ein Wir-Gefühl. „Ich bin als Ich reingegangen und als Wir rausgekommen“, sagt ein Teilnehmer eines Bürgerrats. Dies trägt auch dazu bei, dass die Teilnehmenden mehr als sonst bereit sind, an der Umsetzung von den gemeinsam entwickelten Ideen mitzuwirken. Solch ko-kreative Herangehensweisen, die sich über die kommunale Bürgerbeteiligung hinaus nicht nur in Firmen, sondern auch in Schulen, Vereinen und überall, wo Menschen zusammenarbeiten, verbreiten, haben das Potenzial zu tiefgreifenden Veränderungen in unserer Gesellschaft.

Eine wachsende Community

Seit 2018 gibt es den internationalen Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Dynamic Facilitation und Bürgerräte zu verbreiten, die Akteurinnen zu vernetzen und sich für die Qualifizierung einzusetzen. Der Verein arbeitet dabei eng mit Jim Rough zusammen.

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Kristina Henry ist Beraterin, Moderatorin und Mediatorin. Sie ist Vorständin im Dynamic Facilitation e.V. und Mitgründerin der INWIA Consulting GmbH. Nach jahrelanger klassischer Karriere in der Software und IT Branche begleitet sie seit über 12 Jahren Kommunen und Organisationen in Beteiligungsprozessen.