Zukunftsrat Leupoldsgrün

Zuhören, Aufnehmen, Anpacken

Von empörten Zwischen-Kommentaren zu tränengerührten Abschlussworten in nur eineinhalb Tagen – das ist LOSLAND! Jonathan Rauch ist Praktikant bei LOSLAND. Gleich in seiner ersten Woche startet er mit dem Highlight seines Praktikums und darf seinen ersten Bürgerrat miterleben. Im Blogeintrag berichtet er von seinem Erlebnis in der Gemeinde Leupoldsgrün im bayerischen Vogtland. (Foto: LOSLAND Team)

Freitagabend: Die gelosten Bürgerräte stehen voller Neugier vor dem Zukunftswochenende und wissen noch nicht, was auf sie zukommt. Viele von ihnen kennen sich noch nicht, sind sich vielleicht mal auf der Dorfstraße begegnet. Die erste Runde der Dynamic Facilitation Methode beginnt: Alle sitzen gemeinsam im Halbkreis vor der Moderatorin Kristina Henry, die jedoch immer nur mit einem Bürgerrat gleichzeitig spricht. Für die anderen gilt: Zuhören, sich Gedanken machen und warten, bis man an der Reihe ist. Jeder und Jede bekommt die Möglichkeit alle Gedanken, Lösungsvorschläge, Bedenken und Fragen auszusprechen, die ihm oder ihr zum zukünftigen Zusammenleben in Leupoldsgrün wichtig sind. Alles Gesagte wird vom Moderationsteam aufgeschrieben und einer der vier Kategorien zugeteilt.

Unsicherheit über die Logik hinter der Methode ist schnell im Raum zu spüren: Die Teilnehmenden sind davon ausgegangen, man würde hier gemeinsam über die Zukunft diskutieren. Stattdessen sollen sie einfach nur zuhören. Zwischenworte, Einwände und Lacher werden von Moderatorin Kristina unterbunden und sie betont dabei immer wieder, dass nur eine Person spricht und gerade nur deren Gedanken zählen. Jedes Mal bedankt sie sich für den Input und unterstreicht, wie wertvoll dieser war. Den Bürgerräten, die am ersten Abend noch nicht zum Zug gekommen sind, sieht man an, wie es ihnen unter den Nägeln brennt, ihre eigenen Ideen mitzuteilen.

Bewusstes Zuhören

Am nächsten Morgen geht es mit zwei weiteren Runden der Dynamic Facilitation Methode weiter, von denen die erste Robert Pakleppa moderiert. Gleich zu Beginn lässt sich beobachten, dass alle Teilnehmenden bedachter sprechen, aber vor allem bewusster zuhören. Die Vertrautheit mit der Methode steigt, wobei die Bürgerräte intuitiv versuchen, in den Schreibpausen, die der Moderator lässt, auf das einzugehen, was soeben gesagt wurde. Doch auch Robert behält den Überblick, die Ruhe und verweist auf die Spielregeln.

In der dritten und letzten Runde pendelt sich die Methode immer besser ein. Es gibt weniger Zwischenworte und wenn die nächste Person dran ist, geht sie auf das zuvor Geäußerte ein – es ist deutlich spürbar, dass die Methode aufblüht und ihre Wirkung entfalten kann. Die Gruppe hat verstanden, wie wichtig das gemeinsame, gleichwertige Zuhören ist, bevor man mit den Ideen arbeiten und die Gedanken aller ausbauen kann.

Macher-Stimmung

Darum geht es dann nämlich am Nachmittag: Nachdem die Bürgerräte gemeinsam zehn Hauptthemen festgelegt haben, erarbeiten sie an Arbeitstischen Kernbotschaften und Empfehlungen für die Gemeinde. Ganz konträr zur Dynamic Facilitation Methode wird jetzt zusammengearbeitet und die Teilnehmenden schreiben ihre Ideen selbst auf. Dadurch entsteht ein Gemeinschaftsgefühl und der Raum füllt sich mit einer positiven Macher-Stimmung: Jetzt wird umgesetzt und nicht mehr nur zugehört!

Nachdem sie alle Themen – von Energie- und Trinkwasser-Konzept bis Generationenaustausch – ausgearbeitet haben, widmen sich die Zukunftsräte im großen Stuhlkreis dem letzten Feinschliff der einzelnen Themen. Am nächsten Tag werden sie die Ergebnisse im öffentlichen Zukunftsforum der ganzen Gemeinde vorstellen.

Bevor der Tag zu Ende ist, bekommen die Bürgerräte noch einmal die Gelegenheit, ihre Gedanken und Reflexionen zum Prozess der letzten zwei Tage zu teilen. Es ist eine emotionale Runde und es fließen sogar Tränen. Man spürt, dass diese Art des gemeinsamen Gestaltens für viele etwas bewegt hat. Immer wieder wird betont, wie wichtig der Zukunftsrat sei, dass dieser wertgeschätzt werde und vor allem fortgesetzt werden müsse. Einige erzählen, wie sehr Leupoldsgrün ihnen am Herzen liegt und dass sie sich für die gemeinsame Zukunft weiter engagieren möchten. Nochmal deutlich wird die besondere Gruppendynamik beim anschließenden kalten Bier vor dem Rathaus, wo gleich weiter getüftelt wird – das gemeinsame Zukunftsdenken hat in Leupoldsgrün Feuer gefangen!

Jonathan Rauch

Jonathan Rauch studiert „Politics, Administration and International Relations” an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Als LOSLAND-Praktikant begleitete er den Bürgerrat in Leupoldsgrün und beschäftigt sich mit der inhaltlichen und visuellen Nachbereitung der Ergebnisse.